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PASSUGGER GESCHICHTEN | № 1

Der Imker

  • Text: Oliver Kerstholt
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  • Fotos: Nicola Pitaro

«Der Honig, den man in seiner Kindheit isst, bestimmt, was man als echten Honig betrachtet» sagt Imker Aschi Iten. Für ihn sei das der Waldhonig aus Kindheitstagen am Vierwaldstätter-See. Der Honig, den er heute im graubündnerischen Castiel produziert — und selbst auch geniesst — ist allerdings Millefiori-Honig, also solcher aus Wiesenblumen. Aschi Iten ist ein anpassungsfähiger Zeitgenosse – einerseits – andererseits sagt der grauhaarige Lockenkopf mit der markanten schwarzen Brille über sich selbst, er sei ein grundsätzlicher Mensch und verrät auch, was das heisst. «Ich suche das gute Ding und darin die Langlebigkeit. Ich mag Dinge, die ehrlich sind. Gute Architektur, schöne Einrichtungsgegenstände. Sachen, die funktionieren, einen Zweck erfüllen. Echtes und Beständiges.» Wegwerfgegenstände mag er nicht. Seine Zeit investiert er so, dass sie zu was führt. Resultate sind ihm wichtig.

Auf der Suche nach Resultaten ist Iten auch zu seinem Beruf gekommen. Er ist Physiotherapeut und hilft Menschen, gesund zu werden und gesund zu bleiben. Allerdings hat er nach seiner Ausbildung in den frühen 1970ern feststellen müssen, dass die Physiotherapie der damaligen Zeit nicht die Ergebnisse erzielen konnte, die er sich für seine Patienten gewünscht hat. Also hat er kurzerhand eine zweite Lehre begonnen — als Winzer.

Iten lacht, wenn er davon erzählt. Der Entschluss sei wohl von seiner Naturverbundenheit beeinflusst gewesen. Und diese wiederum hat ihn zu den Bienen geführt. Auf dem Rebgut am Bielersee, wo er seine Lehre absolvierte, gab es nicht nur Rebstöcke, sondern eben auch Bienen, für die er, wie er sagt, schnell «ein latentes Interesse» entwickelt hat.

Ein Interesse, dass ihn bis heute nicht loslassen sollte. Mit 22 kam der schlaksige Iten — jetzt wieder als Physiotherapeut; die Wissenschaft hatte inzwischen neue Erkenntnisse hervorgebracht — nach Chur. Hier traf er auf den Maler und Hobby-Imker Räth, von dem er sich am neuen Wohnort gründlich in die Geheimnisse der Imkerei einführen lassen wollte. Das Vorhaben scheiterte, weil Räths Gesundheit das nicht zuliess. Da er sich deshalb auch nicht mehr um seine Bienen zu kümmern konnte, bat seine Frau den jungen, in Sachen Bienen völlig unerfahrenen, Iten um Hilfe. «Plötzlich war ich verantwortlich für zehn Bienenvölker», erinnert er sich. «Das sind gut und gerne 500’000 Tiere».

Heute sind es über drei Mal mehr. Der Autodidakt besitzt 30 Völker, die, so schätzt er, im Sommer 1.5 Millionen Tiere umfassen. Im Winter ist es nur ein Viertel davon. Bienenvölker sind, mit einer Königin an der Spitze, matriarchalisch organisiert und die Drohnen — die männlichen Tiere — werden Ende Sommer, wenn sie ihre Aufgabe erfüllt haben, verbannt und sterben den Hungertod. Die Natur kann grausam sein, Iten weiss das. Sein latentes Interesse an der Imkerei hat sich schnell in extensives Fachwissen verwandelt. Für die Imkerei, die er bis heute als Hobby betreibt, wendet er zwischen März und September gut zwei halbe Tage pro Woche auf. Meist ist er nachmittags bei seinen Bienen, wenn die Temperatur über 14 Grad liegt und die Tiere fliegen.

 

Bevor er die Frage, was ihn an der Imkerei besonders fasziniere, beantwortet, überlegt Iten eine Weile, legt sich den grauen Baumwoll-Schal neu um den Hals und meint dann, es sei wohl die Tatsache, dass sie auch nach all den Jahren nicht abschliessend greifbar sei. Dass er bei bei der Arbeit mit den Bienen auch immer wieder instinktiv, aus dem Bauch heraus, entscheiden und handeln müsse. Und als wolle er dem Fragenden noch etwas Konkreteres mitgeben, schiebt er nach: Es gäbe kaum etwas Schöneres als den Geruch nach Frühling und Nektar, den die ventilierenden Bienen in die laue Nachtluft senden.

Maximal drei Kilometer beträgt der Flugradius von Itens Bienen. Das trifft sich gut, denn rund um Castiel, wo sein Bienenhaus steht, gibt es viel Bio-Landwirtschaft. Besser wird das Leben einer Biene nicht. Ausser sie wird, wie es Iten tatsächlich macht, zwischendurch auf die Alp gebracht. Alpwanderung nennt er das und bekräftigt dem ungläubigen Laien gegenüber, dass er die Sache nicht eben gerade erfunden hat. Man dürfe dabei allerdings nicht an den Alpgang denken, den man aus anderen Bereichen der Landwirtschaft kenne, erklärt er. Die Alpwanderung mit 1.5 Millionen Bienen findet aus nachvollziehbaren Gründen nachts statt. Und auf der Ladefläche eines geländegängigen Fahrzeugs. «Und trotzdem dauert das immer länger als man plant» grinst Iten und dabei glaubt man ihm jedes Wort.

Einmal auf der Alp, jahreszeitlich sind wir alpinen Frühsommer zwischen Mitte Juni und Ende Juli, finden die Bienen neue Nahrungsstätten. Fachbegriff «Trachtquellen». Allerdings nur dann, wenn man die Bienen weit genug aus ihrem gewohnten Radius herausnachtwandert. Andernfalls würden sie einfach zu ihrem bisherigen Standort zurückkehren.

Iten bringt seine Bienenvölker auf die Alp Medergen und damit mitten hinein in was aus Bienensicht ein Überfluss an Alpenrosen sein muss. Auf seine Tiere angesprochen, holt Iten aus. Buckfast heisst die Rasse, die er hält. Benannt nach dem Kloster in England, woher Sie ursprünglich stammt und von wo aus Bruder Adam als Ur-Imker durch extensive Zucht und Selektion sowohl der Buckfast-Biene als auch dem süssen Vergnügen Honig zu weltweiter Beliebtheit verholfen hat. Charakterisieren tut Iten seine Tiere als friedlich und widerstandsfähig. Ja, eine gute Grundgesundheit sei ihnen eigen, den Buckfast-Bienen. Das macht sie zu guten Honig-Produzentinnen und Iten zu einem erfolgreichen Imker. Sein Hobby bringt ihm, von dem man nicht weiss, ob seine Augen oder sein Mund freundlicher lächeln, also auch die Resultate, die er so gern erzielt. 700 bis 800 Kilo Honig kann er durchschnittlich pro Sommer herstellen.

Der Honig, den Iten produziert, unterscheidet sich natürlich je nach Trachtquelle. So bekommt man von ihm und seinen Bienen entweder klassischen Castieler Bienenhonig oder eben Medergener Alphonig — beide in Bio-Qualität.